GÜNTHER ROTHE
LEBEN FÜR DIE KUNST
Design / Aber die Malerei blieb nicht das einzige Feld, das sich Günther Rothe nach seiner Musikkarriere neu erschloss. Er war auch verschiedentlich als Designer tätig. Wie vieles in seinem Leben geschah dies oft aus Anlass von Gelegenheiten, z.B. wenn Unternehmer aus seinem Bekanntenkreis einen Bedarf äußerten, den er erfüllen konnte. Aber er stieß auch selber Projekte an, sobald er an vorhandenen Lösungen einen ästhetischen oder funktionalen Mangel entdeckte, der ihn nicht ruhen ließ, bis er behoben war.
Mit 13 Jahren erlebte Günther Rothe, was vielen jungen Musikern widerfährt: Nach Jahren der soliden Ausbildung am klassischen Instrument entwickelte sich sein eigener Musikgeschmack, und es lockte ihn der Reiz modernerer Genres. Dies geschah freilich altersbedingt im Zuge einer gesamt-menschlichen Wandlungsphase, deren Triebfedern nicht allein musikalisch waren. Auch die schmerzliche Erfahrung, dass sich die jungen Damen auf den einschlägigen Tanzvergnügen jener Zeit für die dort aktiven Jazz- und Swingmusiker stets mehr interessierten als für den Protagonisten, spielte eine gewisse Rolle. Und da dieses Problem nicht mit Aufklärungsarbeit über die Vorzüge der klassischen Gitarre zu beheben war, entschied sich der junge Held für die pragmatischere Lösung und versuchte, ein solcher Musiker zu werden. Er wandte sich ratsuchend an Prof. Hans Sandig, der ihn an den Jazzgitarristen Thomas Buhé vermittelte. Dieser wurde fortan sein Lehrer.
Dass dies ein neuerlicher Glücksfall war, versteht sich von selbst, denn Thomas Buhé war nicht nur Gitarrist, sondern im Jazzbereich schon damals auf dem besten Weg zur Legende. Aber genau wie Margarethe Buch war er sich für junge Schüler deshalb nie zu schade, sondern förderte sie im Gegenteil sehr. Mehr noch: Die Weitergabe seines Wissens war seine eigentliche Leidenschaft und Profession. Er verfasste die ersten Lehrpläne, die es für Jazzgitarre in der DDR gab, und gilt deshalb zurecht als Gründervater der Ausbildung an diesem Instrument. Zusammen mit seinen zahlreichen weiteren Publikationen, die zwischen 1954 und 1993 entstanden, gehören diese Schriften zu den Standardwerken der Gitarrenliteratur.
Thomas Buhé zählte an der Gitarre zur absoluten Referenzklasse. Er erforschte und studierte sie, ergründete ihre Geheimnisse und brachte sie für seine Schüler ans Licht. Er strebte nach nichts geringerem als dem vollendeten Klang. Immer fand er einen Weg, einen Ton, eine Harmonie oder eine Passage noch pointierter, noch brillanter klingen zu lassen. Und wenn er damit den Schwierigkeitsgrad verdreifachte, so musste er dies nicht fürchten. Jedes Stück wurde durch seine Interpretation noch bereichert, und seine geschmeidigen Arrangements zeugen von tiefer musikalischer Einsicht. Ohne Zweifel war er außergewöhnlich begabt, besaß aber auch die Geduld und Disziplin, um hart an sich zu arbeiten und seine Fähigkeiten maximal auszuschöpfen. Erst diese seltene Kombination zeichnet den wahren Meister aus.
Als solcher brauchte Buhé weder Exzentrik noch Ausschweifung, um seine Kollegen und Mitmenschen zu beeindrucken. Auch musste er niemanden herabsetzen, um seinen Status oder seine Größe zu beweisen. Er besaß sie einfach und überzeugte durch Qualität. Er war ein bescheidener und eleganter Mann, der die Musik stets mehr liebte als ihre berauschenden Begleiterscheinungen. Obendrein war er vielseitig gebildet, lebenserfahren und großzügig. Gern teilte er seine Erfahrungen mit allen, die sich aufrichtig dafür interessierten. Auch Günther Rothe hat ihm viel zu verdanken. Das facettenreiche Spiel und die liebenswerte Persönlichkeit seines Lehrers haben ihn gleichermaßen beeindruckt und geprägt. Sein späterer Erfolg als Musiker wäre ohne Buhé unmöglich gewesen.
Als die Volkskunstschule Leipzig, der Vorläufer der heutigen Musikschule Leipzig „Johann Sebastian Bach“, 1963 eine Spezialklasse für Jazz- und Tanzmusik eröffnete, nahm Thomas Buhé seinen Schüler dorthin mit und ermöglichte ihm damit die nächste Stufe seiner musikalischen Entwicklung. Hier kam er in den Genuss noch weiterer hervorragender Lehrer, die seine Ausbildung erweiterten und vertieften. Darunter der Pianist und Komponist Arthur Schmidt-Elsey und der Bandleader Wolfgang Günther.
Schon während dieser Zeit an der Musikschule begann Rothe, als professioneller Musiker zu arbeiten, spielte in verschiedenen Formationen und sammelte wichtige Bühnenerfahrungen. Am bedeutendsten war dabei das Roger-Quintett, das aus befreundeten Musikstudenten und hervorragenden Amateur-musikern bestand, die erfolgreich miteinander harmonierten. Während der Leipziger Messen trat die Combo regelmäßig im Klub International auf, in dem viele der Aussteller verkehrten. Auch die Vertreter von Unternehmen, zu denen in der DDR normalerweise kein Zugang bestand. 1965 lernte Rothe dort einen Instrumentenhändler aus London kennen, dem die Musik der Gruppe derart gefiel, dass er regelmäßig wiederkehrte, um sie erneut zu hören. Eines Abends überließ er dem jungen Gitarristen zum Dank und als Zeichen der Anerkennung eine Gibson Les Paul aus seinem Sortiment. Ein solches Instrument war in der DDR eine absolute Rarität und erhöhte den Marktwert ihres Besitzers schon durch bloße Anwesenheit.
Wiederum durch Vermittlung von Thomas Buhé ging Günther Rothe 1969 zum Tanz- und Schauorchester Rostock und übernahm bereits vier Jahre später dessen Leitung. Unter den älteren Ensemble-mitgliedern hatte sich niemand für den Posten geeignet gefühlt. Rothe hingegen scheute die Doppelfunktion als Musiker und Manager nicht, weil sie seinem doppelten Talent entsprach. Der Erfahrungsvorsprung seiner Jugend zahlte sich hier erstmals aus und legte den Grundstein für seine spätere Arbeit. 15 Jahre lang währte sein Engagement für das Orchester, das ihn bei zahllosen Auftritten durch die gesamte Republik und darüber hinaus führte.
In den 80er Jahren zeigte jedoch das Konzept des Schauorchesters zunehmende Alterserscheinungen, die sich mit den vorhandenen Musikern nicht mehr hinreichend kompensieren ließen. Günther Rothe beendete deshalb seine dortige Tätigkeit und gründete 1984 mit Willys Showband seine eigene Formation. Willy war in der Musikszene sein etablierter Bühnenname. Seine Konzertreisen führten ihn jetzt noch weiter durch das europäische Ausland. Dabei konzentrierte er sich zunehmend auf die Aufgaben des Managements und knüpfte vielfältige Kontakte in Ost und West. Diese ermöglichten es ihm, zahlreiche Veranstaltungen mit nationalen und internationalen Künstlern auf den Weg zu bringen – was in der DDR systembedingt schwierig war – und sie als Regisseur zu betreuen.